Predigt am Altjahresabend von Lektorin Angela Poniatowski - Schmale

Gnade und Friede sei mit Euch von dem, der da war, der da ist und der da kommt.

 

Wenn das Jahr zu Ende geht, wollen wir es angemessen „beschließen“. Es ist ein wenig so, wie ein Bilanzbuchhalter oder ein Kassier am letzten Tag des Jahres das Konto prüft und abrechnet.

 

Wie halten wir es, wenn wir das Jahr beschließen?

Gehen wir noch einmal in uns oder schauen wir in unseren Kalender, um zu sehen, was alles gewesen ist? Sehen wir eine Plus-Seite für das, was alles gut gelaufen ist, und eine Minus-Seite, für das, was unser Glück gemindert hat?

Das Plus wäre dann die schwarzen Zahlen des Glücks: Ein Haus gekauft, im Urlaub gewesen, einen Schulabschluss oder Meistertitel erworben, ein Kind oder Enkelkind bekommen, nach einer Krankheit gesund geworden, Glück im Unglück gehabt, im Lotto gewonnen oder sonst zu Geld gekommen.

 

Bei den schwarzen Zahlen überwiegen die Gewinne die Verluste, die es vielleicht auch gegeben hat. Aber können wir das Leben überhaupt so aufteilen?

Den Verlust eines geliebten Menschen kann nichts aufwiegen; Liebeskummer kann das ganze Glück eines Jahres zerstören. Und wie ist das erst, wenn ein Lebenstraum zerplatzt!

 

„Beschließen“ – vielleicht ist das auch ganz anders gemeint:

Schließ das Jahr ab, wie ein Haus oder eine Wohnung, wenn Du ausziehst:

Schaue dich noch einmal um. Wer hat hier in diesem Jahr mit dir am Tisch gesessen, gegessen, gefeiert oder auch gestritten? Wer hat dich besucht?

Du wirst nicht wiederkommen. Du musst ausziehen aus diesem Jahr. Die Tür hinter dir zumachen und weiterziehen in das nächste Jahr.

 

„Beschließen“ – das wäre dann, ein letzter Blick zurück und sich versöhnen mit dem, was gewesen ist. Du kannst es nicht mehr ändern. Wenn es gut war lächle wehmütig, wenn es böse war, lächle trotzdem: es ist vorbei.

Aber klingt das nicht zu leicht, zu sehr nach billigem Trost?

Wir nehmen doch immer unser Leben, unsere Vergangenheit mit! Das Leben geht nicht spurlos an uns vorüber. Wir sind auch, was wir waren, was wir erlebt haben.

Wenn es gut geht, dann sind wir ein Jahr älter, mit ein wenig mehr Erfahrung.

Möge sich die Erfahrung in Weisheit und in Gelassenheit verwandeln.

 

„Beschließen“ – für Euch und für mich gehört dazu der Segen, heute am letzten Tag im Jahr, der in der evangelischen Kirche als „Altjahresabend“ gefeiert wird. Am Schluss des Jahres, am letzten Abend bitten wir um Segen für das, was war und für das, was kommt.

 

 

„Beschließen“ – ich glaube, das ist der Segen rückwärts. Es klingt verrückt, aber genau das könnte es sein: Der Segen ver - rückt unseren Blick auf unser Leben.

Morgen werden wir nach vorne schauen und allen anderen um uns herum ein „gesegnetes neues Jahr“ wünschen.

Aber heute schauen wir noch einmal zurück und bitten um den Segen für diesen Blick rückwärts.

Möge das vergangene Jahr, möge unser Jahr 2025, unser Leben Gnade finden vor Gott – und dann auch vor uns. Möge Gott unseren Blick auf das Leben

„ver – rücken“, es zurechtrücken.

 

Es scheint eine unverrückbare Tatsache zu sein, dass – je älter wir werden – desto schneller die Zeit zu verfliegen scheint, im persönlichen Leben, aber auch in der Gesellschaft. Politische Situationen verändern sich stündlich.Und wissenschaftliche Neuerungen überholen uns schneller, als wir darüber nachdenken können, ob wir sie gut oder schlecht finden sollen. „Heute ist morgen schon gestern“ – so schnell geht das. Da kann uns schon schwindelig werden auf der Lebensreise.

 

Gegen Reiseübelkeit – egal ob auf dem Schiff oder im Bus – hilft der alte Tipp, einen festen Punkt in der Ferne zu fixieren. Das Gehirn braucht einen Orientierungspunkt, mit Hilfe dessen es die Schwankungen ausgleichen kann. Sonst spielt der Organismus

verrückt.

 

Das Predigtwort für heute, aus dem Brief des Paulus an die Hebräer im Kp. 13,

hat einen ähnlichen, wenn es uns im Leben schwindelig wird. Wenn sich alles zu schnell zu drehen scheint. Wenn uns so Vieles umtreibt und der Boden unter den Füßen schwankt:

Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.

 

Jesus Christus gestern:

Im vergangenen Jahr, in den glücklichen, in den weniger glücklichen Stunden.

Ein ver – rückter Blick zurück, das wäre dann die Entdeckung, dass wir auch die schwierigen Zeiten überstanden haben – Gott sei Dank.

Gott sei Dank hat sich Christus mit unserem Leid verbunden, kennt alle menschliche Schwachheit, sogar das Gefühl der Gottverlassenheit.

 

Das ist dann, am Ende des Jahres mit Paul Gerhardt davon zu singen, das wir auch in Not und Trübsal bewahrt wurden: „Denn wie von treuen Müttern in schweren Ungewittern die Kindlein hier auf Erden mit Fleiß bewahret werden, also und auch nicht minder lässt Gott uns, seine Kinder, wenn Not und Trübsal blitzen, in seinem Schoße sitzen.“ (EG 58, 4 - 5)

Glaube kommt aus dem Gestern, aus der Erfahrung.

 

Jesus Christus heute:

Wir feiern Gottes Gegenwart in diesem Gottesdienst, seine Gegenwart mitten unter uns, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind.

Heute ist Jesus Christus unter uns, in unserem Singen und Beten und Hören; in unserer Gemeinschaft. Christus ist neben Euch in der Bank, ganz nah zwischen Dir und mir, mitten in seiner Gemeinde.

 

Jesus Christus sagt heute:

Ich bin da, auf der Schwelle vom Gestern zum Morgen, auf der Schwelle von einem Jahr zum neuen. Ich bin da, fürchte dich nicht. Glaube kommt aus dem Jetzt und Hier, der Gegenwart Christi.

 

Und derselbe auch in Ewigkeit:

Der Blick Gottes reicht weiter als in die Zukunft! Er geht bis in die Ewigkeit! Das ist verrückt! Das ver - rückt die Maßstäbe und die Sorgen über das, was auf uns zukommt.

Vielleicht ändern sich die Umstände, in denen wir leben. Vielleicht ändern wir uns – das ist sogar höchst wahrscheinlich. Es ändern sich die Menschen um uns herum. Möglicherweise ändert sich die Art und Weise von Kirche, deren Hauptmerkmal ja ihr Veränderungspotential ist: „Semper reformanda“, immer zu erneuern.

 

Aber ganz gleich, welche Schwierigkeiten auf uns zukommen; welche Krisen wir und die Menschheit noch durchleben müssen, wir geben nicht auf. Und wir geben niemanden auf, weil Gott niemanden aufgibt. Gott hat eine Zukunft gedacht für seine Welt und seine Geschöpfe:

Dass nichts bleiben muss, wie es ist. Dass sich Menschen ändern zum Guten.

Dass Kriege ein Ende haben und Menschen sich versöhnen.

Glaube wächst aus der Zukunft entgegen, aus dem, was wir noch nicht sehen.

 

Vielleicht ist so ein Glaube verrückt.

Aber es ist Gott, der unseren Blick ver – rückt, der uns zurechtrückt, gerade und aufrecht hinstellt in Zeit und Ewigkeit.

Was uns auch umtreibt und hin und her wirft, wir sind geborgen bei Gott durch alle Zeiten:

Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahr unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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Predigt über die grenzenlose Liebe Gottes an uns Menschen vom Heiligen Abend 2025