Predigt zu 4. Advent 2025
Predigt zu 2. Kor 1, 18-22
Aber Gott ist mein Zeuge:
Keines unserer Worte an euch
bedeutet gleichzeitig Ja und Nein.
Wir – das heißt: ich, Silvanus und Timotheus –
haben bei euch Gottes Sohn, Jesus Christus, verkündet.
Und von dem gilt: Er war nicht Ja und Nein zugleich,
sondern er ist das Ja in Person.
Durch ihn sagt Gott Ja zu allem,
was er je versprochen hat.
Auf ihn berufen wir uns,
wenn wir zu Gottes Ehre »Amen« sagen.
Gott selbst ist es, der uns gemeinsam mit euch
im Glauben an Christus festigt.
Er hat uns gesalbt
und uns sein Siegel aufgedrückt.
Dazu hat er uns den Heiligen Geist
als Vorschuss auf das ewige Leben ins Herz gegeben.
Liebe Gemeinde,
manche Bibelworte scheinen gar nicht zu der besinnlichen Advent- und Weihnachtszeit zu passen. So auch die heutigen Bibeltexte - kraftvoll, mit handfesten Bildern, mit klaren Aussagen, und sie sprechen sehr direkt unser alltägliches, persönliches Leben an.
Diese Texte überraschen uns, und wenn wir es schaffen, sie nicht als unpassend abzutun, dann gewinnen wir die Möglichkeit, tiefer den Sinn des Advents zu begreifen.
Heute brennt schon die 4. große rote Adventkerze. Nur noch ein paar Tage, und wir feiern Weihnachten. Der besinnliche Advent liegt schon fast hinter uns ... und dann? Was soll das Ergebnis sein? Wie sollen wir zu Weihnachten ankommen und dieses gesellschaftlich etwas überdimensionierte Fest wirklich feiern?
Eigentlich kommt das Wort besinnlich ja von besinnen - sagen wir ganz einfach: nachdenken.
Das bedeutet: Nach dem besinnlichen Weg zu Weihnachten soll etwas entstehen. Wenn wir fast vier Wochen lang Zeit zum Nachdenken hatten, dürfen wir auch mit etwas rechnen, das mehr ist als nur Weihnachtsstress, viel Essen, Pflichtbesuche und Geschenke.
Mit dem neugeborenen Christus in uns. Mit dem hundertprozentigen JA Gottes zu uns Menschen. Mit der Eindeutigkeit, die durch Christus möglich ist. Mit der Klarheit, die Christus in das Leben bringt. Mit unserem Kirche-sein - das bedeutet: ganz und absolut Christus zu gehören.
Zu schön, um wahr zu sein - denken vielleicht manche.
Aber im Leben müssen wir mit allem rechnen. Auch mit dem Guten, mit dem absolut Guten. Und weil das gar nicht so einfach ist, brauchen wir oft eine längere Anlaufzeit, etwas Übung. Deshalb brauchen wir Advent. Wir sind manchmal so verzweifelt mit uns selbst und mit der Welt, dass wir Zeit brauchen, um an das Gute glauben zu lernen. Nun liegen die letzten Tage dieser Zeit noch vor uns. Wir sind fast am Ziel.
Das Kind wird geboren. So sicher. Auch wenn alles andere unsicher ist. Es kommt. Das JA Gottes. Die Klarheit. Die Eindeutigkeit. Und in einigen Tagen werden wir das feiern - und die Freude, die in uns, ganz tief in uns ist, feiern. Sie ist mehr als nur ein Gefühl.
Paulus benutzt handfeste Bilder: Gott salbt - Gott versiegelt - Gott legt den Geist ins Herz. Gott greift ein, handfest wie ein Handwerker: Als würde er über die Stirn streichen: "Du gehörst zu mir." Er setzt ein Siegel, das keiner zerbrechen kann. Er gibt seinen Geist wie eine kräftige Mund-zu-Mund-Beatmung, damit du dich auf das Leben freust - auf das Leben, das mehr ist, das ewig ist.
Und wenn man sich Zeit zum Nachdenken nimmt, dann kommt man früher oder später zu Gott.
Einer der erfolgreichsten lettischen Dichter der 1970er-Jahre, Imants Ziedonis, sagte in einem Gedicht:
"Ich zählte und kam bei Einem an."
Dieser Satz war sein Glaubensbekenntnis in einer Zeit, in der der Glaube als Dummheit abgetan wurde. Für die sowjetische Zensur war dieser Satz vollkommen sinnlos und ungefährlich. Viele fanden diesen Satz interessant und mochten ihn, und dann waren da Menschen, die von diesem Satz tief berührt wurden.
So ist es auch mit Weihnachten: Für viele ist dieses Fest heute ohne tieferen Sinn, aber viele mögen es, auch wenn es ziemlich stressvoll ist. Es ist voll mit Ereignissen und Gefühlen, und es setzt etwas in Gang, das schwer in Worte zu fassen ist. Es ist eine Sehnsucht, die uns mit allen Menschen verbindet - und hoffentlich viele dazu führt, zu überlegen, was im Leben zählt.
Was sammeln, was zählen wir in unserem Leben? Ereignisse? Erfolge? Begegnungen? Tiefe Gespräche? Gotteserfahrungen? Autos? Häuser? Grundstücke? Enkelkinder? Mahlzeiten? Leere Flaschen? Leere Gespräche? Enttäuschungen? Ärger? Streit? Krankheiten? Menschen, die wir lieben? Tiere, um die wir sorgen? Geld? Gottesdienste? Konzerte? Lieder, die wir gesungen haben? Anerkennung? Applaus? Heldentaten? Schlaflose Nächte? Tränen? Lachen? Witze? Erinnerungen?
Mit Sicherheit etwas von all dem.
Die Frage ist nur: Was ist das Ergebnis, wenn wir das alles zusammenzählen?
Bleiben wir an der Oberfläche des Zählens, werden die Zahlen groß, und wir wünschen, dass sie noch größer werden und dass wir mehr und mehr und mehr haben. Nicht selten überwältigt all das den Menschen. Der Mensch fühlt sich verloren, klein und unwichtig. Das führt zu Einsamkeit und Unzufriedenheit, zu Sorgen und Wut, Erschöpfung und Kampf.
Gehen wir in die Tiefe, versuchen wir, das Leben wirklich zu begreifen, dann fangen wir an, anders zu zählen. Dann zählen wir und kommen bei dem Einen an, bei dem Ja, bei dem klaren Ja. Und es geschieht etwas Wunderbares. Es geschieht Weihnachten, denn dieses Ja verwandelt all das, was wir in unserem Leben gezählt und gesammelt haben, in ein großes, ewiges JA: zu einer eindeutigen Zugehörigkeit zu Gott, zu dem Gefühl, Sinn im Leben zu haben, ohne es jemandem beweisen oder zeigen zu müssen, zu der Zugehörigkeit zu dieser Welt und zu den Menschen und zu Nähe, Liebe, Zärtlichkeit und Mitgefühl mit uns selbst.
Danach sehnen sich alle Menschen auf dieser Welt. Diese Sehnsucht verbindet uns mit absolut allen Menschen. Und sie stärkt uns als Pfarrgemeinde, wenn wir begreifen, dass sich durch diese Sehnsucht die Kraft unseres Glaubens entfaltet. Denn auf diesem besinnlichen Weg einander zu unterstützen, ist der Sinn der Pfarrgemeinde und des christlichen Lebens. Das haben die ersten Christen getan, das haben die Gläubigen durch Jahrtausende getan, und das tun wir heute.
Und so darf uns vor Weihnachten nur eine Frage beschäftigen: Schaffen wir es, unsere Tage so zu zählen, dass wir uns nicht verlieren, sondern bei dem Einen ankommen? Beim Christkind in der Krippe. Beim Heiland im Herzen. Beim Leben in Ewigkeit.
Amen.